Titel Hellersdorfer Tapete
Hellersdorfer Nacht
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Hellersdorfer Tapete

Die Hellersdorfer Tapete wurde im Dezember 2015 vorgestellt, als Abschluss eines 14 Monate zuvor begonnenen Projekts, das Erkundungen, Gespräche und Workshops in Hellersdorf umfasste, sowie die Produktion zweier Wandzeitungen, die vor Ort in den U-Bahnstationen plakatiert wurden.

Das Projekt Hellersdorfer Tapete ist eine Fallstudie in unserer Beschäftigung mit städtischen Peripherien. Das am nordöstlichen Rand Berlins gelegene Hellersdorf wurde von uns gewählt, weil dort die letzte in der DDR geplante Großsiedlung nach der „Wende“ von postmodernen Interventionen und Privatisierung überschnitten und als dystopischer Ort stigmatisiert wurde. Das sich hieraus ergebende, komplexe Bild aus gebauten Strukturen, Gestaltungen der ausgedehnten Grünanlagen und den stark vorgeprägten Vorstellungen von Hellersdorf versuchten wir zu entschlüsseln und in seinen Verschränkungen zu verstehen.


Impressum

Projektteam: Christian Hanussek, Anne Huffschmid, Stephan Lanz, Oliver Pohlisch, Katja Reichard, Kathrin Wildner (alle metroZones)

Übersetzung: Andrew Boreham

Programmierung: Erwin Riedmann (metroZones)

© Copyright für Tapeten, Fotos und Videos: Christian Hanussek (metroZones)

Das Projekt Hellersdorfer Tapete wurde realisiert im Rahmen des Wettbewerbs Kunst im Untergrund der neuen Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin.

Projektkoordinator: Jochen Becker (metroZones)

Finanziert von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa – Kunst im Stadtraum.

Unterstützt von: LOTTO-Stiftung Berlin, BVG, Berliner Fenster, Wall


Credits

iScroll © 2014 Matteo Spinelli

Swiper © 2014 Vladimir Kharlampidi

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Geschichte

In der ursprünglichen Planung der Großsiedlung Hellersdorf, dem letzten großen Bauprojekt der DDR, kann als ein Wiederaufleben der Idee der Gartenstadt gelesen werden. Die langen, meist 5-stöckigen Gebäude sind in stets neuen Formen so miteinander verbunden, gewinkelt und versetzt, dass sie große Innenhöfe bilden, die sich jeweils an einer oder zwei Stellen zu den Außenräumen der Zufahrtsstraßen öffnen. Um die Gebäude herum entsteht dabei ein unregelmäßig mäanderndes Geflecht von Grünanlagen, die nur durch wenige Hauptstraßen voneinander getrennt werden. Spätere Planungen der 1990er Jahre führten zu postmodernen Eingriffen, vor allem mit der „Hellen Mitte“ und dem steinernen, an der Kreuzung von zwei Hauptstraßen gelegenen, Alice Salomon Platz, doch im größten Teil der Siedlung ist die ursprüngliche Grundstruktur noch bestimmend.

Die ursprüngliche Planung war davon ausgegangen, dass die Siedlung als Einheit verwaltet wird, aber nach dem Ende der DDR wurde sie in Teilstücken verkauft, sodass die Eigentumsverhältnisse fragmentiert sind und eine ganzheitliche Gestaltung nicht mehr möglich ist. Zudem gibt es an an vielen Stellen in der Siedlung bislang unbebaute, sich selbst überlassene Brachflächen.



Soziale Strukturen

Vor allem die eher kleine Gruppe der noch in Hellersdorf lebenden Erstbezieher beklagt, dass die soziale Durchmischung und der soziale Zusammenhalt, den Hellersdorf ursprünglich gehabt habe, mit dem Ende der DDR verloren gegangen sei. Nach dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft und durch das negative Image des Bezirks kam es zu einem Auszug der privilegierteren Gruppen und einer Tendenz des sozialem Abstiegs des Quartiers. Teile der Siedlung waren auch durch häufig wechselnde Eigentümer und Vernachlässigung der Gebäude und Außenflächen unattraktiv geworden.

Inzwischen wurden die Wohnungen weitgehend modernisiert, und die Infrastruktur für Familien mit Kindern ist mit Schulen, Kitas und sozialen Einrichtungen sehr gut. Dazu kommt die gute Verkehrsanbindung und der hohe Freizeitwert der Grünanlagen, wodurch Hellersdorf heute als mittlere Wohnlage gilt mit entsprechenden Mietpreisen und kaum Leerstand. Dennoch belastet noch immer das negative Stigma den Bezirk, woraus ein großes Interesse entsteht ihn positiv darzustellen. Häufig werden dabei Probleme ignoriert, anstatt wahrgenommen und bearbeitet zu werden.

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Grünflächen

Während die Innenhöfe oft wie Miniaturparks mit Spielplätzen angelegt sind, verlaufen an den Zufahrtsstraßen parallele Streifen von Abstandsgrün vor den Gebäuden und zwischen Fußwegen und Parkplätzen, sodass auch hier recht breite Fluchten die Häuserreihen trennen. Zudem weitet sich diese Struktur immer wieder in offene Flächen mit Kinderspielplätzen, Promenaden, Parkanlagen und auch Brachflächen.

Das in der Postwende-Zeit angelegte, landschaftsarchitektonische Design wirkt ambitioniert mit geschwungenen Wegführungen und kontrastierend dazu mit geometrischen Formen, oft um 45° gedrehten Quadraten. Die gärtnerische Anlage und Pflege scheint dagegen durch Kostengünstigkeit bestimmt zu sein, mit einer Dominanz von eher grob beschnittenem Gestrüpp, das an manchen Stellen das landschaftsarchitektonische Design überwuchert. Die ursprüngliche Planung war davon ausgegangen, dass die Siedlung als Einheit verwaltet wird, aber nach dem Ende der DDR wurde sie in Teilstücken verkauft, sodass die Eigentumsverhältnisse fragmentiert sind und eine ganzheitliche Gestaltung nicht mehr möglich ist. Die Grenzen der Eigentümer lassen sich an der unterschiedlichen Gestaltung der Grünanlagen sowie der Fassaden ablesen, sodass sich der Bezirk darin sichtbar in Segmente aufteilt. Einige Innenhöfe sind durch Zäune und Tore nach außen abgeschlossen. Die Erstbezieher der Siedlung hatten noch selbst die Initiative ergriffen und an der Baustelle Grünflächen angelegt, doch nach der Übernahme durch private Immobilien-Gesellschaften wurde den Bewohnern gärtnerisches Engagement verboten und die Anlage und Pflege der Außenräume wird seitdem durch die Hausverwaltungen organisiert. Mit der Beauftragung von professionellen Gartenbetrieben wurde den Bewohnern ein wichtiger, auch emotionaler Bezug zum öffentlichen Raum genommen, der nun fremdbestimmt ist.

Einen Kontrast zu den Grünanlagen und ein häufig beklagtes Ärgernis der Bewohner bilden die Brachflächen, im Eigentum des Liegenschaftsfonds, der sie für potentielle Bebauung vorhält. Durch die dort wachsende, wilde Vegetation führen meist diagonal verlaufende Trampelpfade. Nachts unbeleuchtet sind sie unheimliche Wildnis inmitten der Siedlung. Vereinzelt werden Brachflächen in Zwischennutzung von lokalen „urban gardening“ Initiativen angelegt und gepflegt. An diesen Aktivitäten beteiligen sich aber nur wenige Interessierte und es erscheint als schwierig, ein direktes Engagement und Verhältnis der Anwohner zu den Grünflächen zu reaktivieren.

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Workshop

Durch die ausgedehnten Grünanlagen verlieren die Außenräume viel von dem, was städtisches Leben ausmacht wie räumliche Verdichtung, Verkehrslärm und Anonymität. Obwohl Hellersdorf mit der U-Bahn gut mit dem Zentrum verbunden ist, empfinden die Bewohner „Mitte“ als weit weg. Teilnehmer des Workshops schilderten die Atmosphäre in Hellersdorf so, als ob hinter den Häusern das Meer, oder eine weite offene Fläche sein könnte. Andere schrieben den Außenräumen eine intime Qualität zu, da im Sommer die Gebäude hinter Abstandsgrün und Bäumen verschwinden und Fußwege wie Tunnel durch die üppige Vegetation führen.

Durch die Abschottung des Durchgangsverkehrs herrscht eine im urbanen Raum ungewohnte Ruhe, in der Gespräche gehört und auch kleinste Geräusche identifizierbar werden. Jede Handlung und Äußerung wirkt in der Stille des öffentlichen Raumes exponiert. Die Ruhe, die mit dem Grün verbunden wird, schafft in Hellersdorf ein Paradox und wird ein umkämpfter Bereich, denn obwohl oder gerade weil es dort so ruhig ist, wird Lärm sehr schnell als störend empfunden und löst Konflikte aus. Das einzige wirklich laute Dröhnen, das in regelmäßigen Abständen zu hören ist und das auch die kryptische Struktur der Siedlung nicht abzuhalten vermag, stammt von den Flugzeugen im Anflug auf Tegel.

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Hellersdorfer Font

Vom Flugzeug aus fällt die große Variation eigentümlicher Grundrisse der Hellersdorfer Gebäude auf, die sich wie Zeichen figurieren. Anhand dieser Strukturen haben wir unsere Hellersdorf Schrift entwickelt.



Wandzeitungen

In unserer ersten Wandzeitung wurden Nachtaufnahmen von Hellersdorf zu einem Tapeten-Rapport collagiert und darüber Fragmente aus den Interviews im Hellersdorf Font gesetzt. Die Wandzeitung wurde am 23.Februar 2015 in den Hellersdorfer U-Bahnstationen plakatiert und in der „Station urbaner Kulturen“ gezeigt.

Die zweite Wandzeitung wurde aus den Skizzen und Beschreibungen der Teilnehmer des Workshops zusammengestellt und am 11. Juli ebenfalls in den Stationen der U 5 plakatiert. Zudem wurde ein Video produziert, indem einige Workshop-Teilnehmer ihre Originalzeichnungen kommentieren.

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Tapeten

Im Muster der Hellersdorfer Tapete erscheinen die für die Siedlung typischen Gebäudeformationen als doppelt rot konturierte, transparente Zeichen in wechselnden Perspektiven von oben. Ihre Plastizität wird nicht durch die Raster der Plattenstruktur, sondern durch amorphe Linien und Schraffuren angedeutet. Es entsteht eine bewegte, schwebende Ebene über dem grauen Fond, der von weißen Linien durchzogen ist. Diese Linien zeichnen die Fußwege nach, die in Hellersdorf als wilde Trampelfade durch die Brachflächen oder als angelegte Wege, dem englischen Landschaftsgarten entlehnt, in willkürlichen Kurven verlaufen.

In der Beschränkung auf diese Elemente zeichnen wir ein Bild von Hellersdorf, dass wesentlich durch die Struktur der Bauten und der grünen Außenräume um sie herum bestimmt ist. Die Wege stehen einerseits für ein Design, das sowohl von der Funktionalität als auch der Konzeption der Bauten abgelöst ist und andererseits, bei den Trampelpfaden, als ein Zeichen der Aneignung des Raumes durch tagtägliche Nutzung.

Das Tapetenmuster „by night“ ist eine Collage aus Nachtaufnahmen des Grüngürtels, der östlich neben der U-Bahnstrecke angelegt wurde. Als Grünanlage und zum Teil als Brachfläche nur spärlich oder gar nicht beleuchtet, muss dieser Bereich von den Anwohnern auf dem Weg von und zur U-Bahn durchquert werden.

Die Collage „rain“ zeigt einen Koffer mit Beautycase, die im Gestrüpp einer Brachfläche aufgefunden wurden und eine Crime-Scene evozieren.

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